Unter Artikeln von Mainstream-Medien zu kommentieren macht wahrlich keinen Spaß. Mich wundert nicht, dass bei dem dort üblichen „Hauen & Stechen“ wenig Frauen mitmachen, trotzdem hatte ich am 20.Oktober den Artikel „Ich möchte, dass alle Plattformen Nazi-Propaganda löschen“ von Stephan Urbach kommentiert. Zu diesem Zeitpunkt standen da erst etwa vier Kommentare, die den Autor wegen eines etwas ungeschickten Einstiegs ins Thema mit spürbarer Schadenfreude „in der Luft zerissen“.
Ich schreibe hier darüber, weil mein komplett sachlicher Kommentar (und auch die Nachfrage danach) in der SZ nicht erschienen ist.
Alsdenn, Urbach schrieb zu Beginn:
Machen wir uns nichts vor – Twitter ist nicht nur toll und schön. Es tummeln sich dort allerlei Menschen, die gar merkwürdige Ansichten vertreten: Atomkraftbefürworter, Maskulisten, Evolutionsleugner, Verschwörungstheoretiker, Antisemiten und Nazis. Sie alle haben gemein, dass sie gerne und oft ihre teilweise kruden Thesen und Meinungen ins Internet posaunen. Es ist alles dabei, auch in Deutschland strafrechtlich relevante Inhalte.
Im weiteren geht es um das Zensursystem von Twitter, das Meldungen in jenem Land „ausblendet“, aus dem ein berechtigtes Löschverlangen eingeht. Eine Möglichkeit, die kürzlich erstmalig von Deutschland in Gestalt der Polizei Hannover genutzt wurde, die per „Löschverlangen“ gegen einen Nazi-Account vorging.
Urbach verlangt nun „Löschen statt Sperren“ – und bezieht sich hier sehr deutlich und explizit auf die Nazipropaganda:
Ich möchte, dass alle Plattformen Nazi-Propaganda löschen, aus dem Netz tilgen und keine Öffentlichkeit für Rechtsradikale mehr erlauben. Natürlich sind die Tweets, die die Hannover Neonazis publiziert haben in den USA nicht strafbar und es gibt keinen juristischen Grund für Twitter, sie zu entfernen. Dennoch gibt es einen Grund, diese Tweets zu löschen: Haltung. Haltung gegen Rassismus, gegen Diskriminierung und gegen menschenverachtende Ideologien.
Wie von allen halbwegs intelligenten Lesern unschwer zu erkennen ist, fordert Urbach hier ein freiwilliges Vorgehen von Twitter gegen Nazipropaganda. NICHT ETWA gegen Atomkraftbefürworter, Maskulisten, Evolutionsleugner, Verschwörungstheoretiker etc.
Dennoch unterstellen ihm die Kommentierer genau das! Zudem scheinen sie auch nicht unterscheiden zu können, was eine Forderung nach staatlicher Zensur im Unterschied zu dem ist, was Urbach „Haltung“ nennt. Eine „Haltung“ zu haben, die menschenverachtende Naziprogaganda nicht duldet, empfinden sie des weiteren als eine Art „Sündenfall“, völlig entlegen, nicht machbar, böse Variante von „Zensur“ etc. usw.
Hausrecht ist Haltung, nicht Zensur
Dabei – das war nun mein Argument in der Debatte, bzw. hätte es sein sollen – ist zwischen Zensur und „Haltung“, wie sie sich als „Hausrecht“ in den AGB eines Unternehmens ausdrückt fein zu unterscheiden. Selbstverständlich kann staatliches Vorgehen gegen Publikationen nur bei strafrechtlich relevanten Verstößen erfolgen – und weil sich die Länder in ihren Gesetzen unterscheiden, wird diese Zensur immer unterschiedliche Themen und Sender betreffen.
Nicht so die AGB, die können nach dem Willen des jeweiligen Unternehmens gestaltet werden, wobei sie auch Äußerungen verbieten können, die nicht strafbar sind. So untersagen viele Plattformen amerikanischer Unternehmen „Nacktheit“, was bei FB, Google+ & Co. schon mal zur Löschung von Bildern alter Meister führt. Auch kennen wir viele Foren, die in ihrer Nettikette Hassreden (Hate Speech) und allerlei menschenverachtende Themen verbieten, bzw. ankündigen, entsprechende Postings zu löschen.
Nacktheit löschen, Nazi-Propaganda dulden?
Nun frage ich mich, was an der Forderung, Nazipropaganda zu löschen, so falsch sein soll? Ist das nicht viel schlimmer als NACKTHEIT???
Klar wird Twitter der Forderung eines Einzelnen nicht folgen – was aber spricht dagegen, die Forderung aufzustellen? Auf Dauer könnten sich ja mehr und mehr Menschen diesem Begehren anschließen und eines Tages würde vielleicht die eine oder andere Plattform umdenken. Ist das SO SEHR außerhalb des Denk- und Wünschbaren, dass man deswegen einen Anti-Urbach-Shitstorm entfesseln muss? Gar – offenbar absichtlich die Forderung missverstehend – ein Zensurbach-T-Shirt kreieren?
Was ich bei solchen Themen erlebe, ist nicht ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung, sondern „böswilliges Lesen“ des Textes, Suchen von Schwachstellen, um den Autor in die Pfanne zu hauen, Freude am Shitstorm – scheiß auf das eigentlich wichtige Anliegen!
Mitlesende Nazis werden erfreut sein über soviel Solidarität.
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11 Kommentare zu „Über die Forderung, Nazipropaganda zu löschen, das böswillige Lesen von Texten und Nacktheit“.