Der Erfinder des Web will uns die Herrschaft über unsere Daten zurück geben. Was steht dagegen? Und was würde geschehen, wenn es tatsächlich gelingt?
Für unzählige Menschen sind heute die Dienste der Giganten Google, Facebook und Amazon „das Internet“. Viele kennen nicht einmal mehr Web-Adressen (URLS), sie glauben, die Google-Suche sei das „Tor“ zum Web. Hatte man früher Homepages (hier archivierte Beispiele), Blogs und Foren, so konzentriert sich heute alles auf die bekannten, sogenannt „sozialen“ Medien, allen voran Facebook, Instagramm (=auch Facebook) und Twitter. (Im Chrome-Browser hat Google die Webadresse einer Seite kürzlich gar nicht mehr vollständig angezeigt, aber nach Protesten dann doch wieder, vorerst).
Alles in allem ist das nicht mehr das Web (WWW, World Wide Web), das dem Erfinder Tim Berners Lee vorschwebte. Mit einem neuen Konzept und einem kürzlich gegründeten StartUP (Inrupt) will er nun das Web revolutionieren, wie Futurezone.de berichtet:
„Die Basis-Idee des britischen Informatikers ist rasch erklärt: Internet-Nutzer sollen eine Plattform bekommen, über die sie ihre bisherigen Aktivitäten im Netz durchführen können, aber ohne dass Unternehmen wie Google oder Facebook automatisch ebenfalls Zugriff auf diese Daten bekommen. Das betrifft etwa das Abrufen eines Online-Kalenders, das Streamen von Musik, das Schreiben von E-Mails oder Nachrichten oder das Sichern von Daten….
…Die Daten werden dabei dezentral gespeichert und befinden sich nicht in der Hand der großen Konzerne. Bernes-Lee nennt diese Entwicklung „Pod“, und Nutzer können selbst entscheiden, mit wem sie diese Daten in ihren Pods teilen. „Damit sollen Menschen wieder die Macht über ihre eigenen Informationen im Web zurückerlangen“, erklärt der Informatiker.“
Dagegen spricht: Trägheit und Bequemlichkeit
Zugegeben: ich kann mir anhand der bisherigen Infos noch nicht vorstellen, wie das mit den „Pods“ in der Praxis funktionieren soll. Alle unter dem Aspekt „Herrschaft über die eigenen Daten“ beklagenswerten Zustände sind ja entstanden, weil sie Einfachheit und Bequemlichkeit boten. Und zwar in einem Ausmaß, das weit über das hinaus geht, was z.B. Blogs heute bieten können bzw. wollen. Es ist unübertroffen einfach, ein Profil bei Facebook anzulegen, verglichen mit der Lernkurve, die Einrichtung und Betrieb eines selbst gehosteten Blogs erfordern. Zwar bieten auch hier große Plattformen (wiederum Google mit blogger.com) starke Vereinfachungen, doch ist die Vernetzung mit anderen, das „soziale Geschwurbel“ auch auf einem Plattform-Blog deutlich schwieriger zu erzeugen als auf einem Social-Media-Account.
Deshalb will – wenn ich es richtig verstehe – Berners Lee auch lediglich die „bisherigen Aktivitäten im Netz“ in einer Art und Weise ermöglichen, die den Mega-Plattformen den Zugriff auf die dabei anfallenden Daten verunmöglicht. (Angesichts dessen, was Twitter mit Dritt-Diensten anstellte, die mit Twitter-Daten arbeiteten, frage ich mich, wie das möglich sein soll – aber hey, wenn Tim Berners Lee meint, das gehe…). Es werden also sich also nur jene User angesprochen fühlen, die sich durch die Datennutzung durch die Giganten wirklich genervt fühlen. Und dann kommt es noch darauf an, welchen Aufwand das Verfahren über „Pods“ erfordert und welche gewohnten Nutzungen dadurch evtl. entfallen.
Und WENN es klappt: ist der Grundwiderspruch Absicht?
Aber mal angenommen, es klappt und es steigen massenhaft User auf die neue Art der Webnutzung um: Was dann? Dann entfällt die Bezahlung, die wir mittels der Überlassung unserer Daten für die kostenlosen Dienste leisten. Denn diese werden ja genutzt, um Werbung möglichst individualisiert an kleinste Zielgruppen ausspielen zu können, die an den beworbenen Produkten und Dienstleistungen hochwahrscheinlich interessiert sind (Etwas, das man sich einst wegen überquellender Briefkästen gewünscht hat!). Es kann dann nurmehr „Massenwerbung“ wie früher verteilte werden, was sich wiederum nur wirklich große Konzerne leisten können. Für den Betrieb von Facebook oder Google (Adwords) wird das nicht reichen, also würden sie mangels Finanzierung durch Werbung verschwinden.
Ist es das, was Tim Berners Lee will? Das halte ich für gut möglich, sogar für wahrscheinlich. Aber ist es auch das, was die Mehrheit der User will? Ein Web ohne Facebook – für MICH wäre das kein Problem, wohl aber fände ich es ätzend, wenn die Google-Suche, Twitter und manch andere kostenlose Google-Dienste entfallen würden: Google Map, Google Docs (Drive, Tabellen…), der Google Übersetzer und viele mehr.
Ohne die viel geschmähte „Bezahlung mit Daten“, die eine Finanzierung über Werbung ermöglicht, könnten all diese Dienste nurmehr kostenpflichtig existieren.
Wie viele könnten sich das leisten? Die Rede vom „durchkommerzialisierten Web“ bekäme eine völlig andere Bedeutung – und ich zweifle, ob es wirklich DAS ist, was viele wollen.
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6 Kommentare zu „Tim Berners Lee will das Web erneuern – kann das klappen?“.