Auf die Idee, mal nach Netzwerken für Ältere zu schauen, kam ich bei der Besichtigung einer Community, die sich – wie die meisten – massiv an Jugendliche wendet: Townkings.de ist an sich eine innovative Plattform, die es ermöglicht, den eigenen Standort und auch andere Standorte auf einer Google-Map einzutragen. So ist es theoretisch möglich, Leute aus der ganz realen Nachbarschaft kennen zu lernen, sofern es da überhaupt Mitglieder gibt. Gute Idee mit einigem sozialen Potenzial, doch wegen der Ausrichtung auf die beschränkten Interessen der jugendlichen Zielgruppe (Unterhaltung, ausgehen…) für mich nicht interessant. Dass das Ganze auch noch in Flash programmiert ist, macht es zudem für alle, die den Umgang mit normalen Webseiten und Blogs nicht missen wollen, ziemlich unattraktiv (ein Klick auf die Zurück-Taste und man ist ausgeloggt!).
Vom Quantensprung, der möglich wäre
Man stelle sich nur mal vor, so ein Tool wäre neutraler gestaltet, nicht mit blöden Spielchen verbunden (man startet als „Leibeigener“ und kann sich zur Townqueen „hochdienen“… !) und würde wirklich von vielen Menschen aller Altersgruppen genutzt! Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliches Engagement, Stadtplanung, Bürgerinitiativen, soziale Einrichtungen, Vereine und Initiativgruppen, Mieter, Hausverwaltungen, Investoren, Familien, Alte, Gewerbetreibende, Ärzte – wenn all diese ganz realen Tätigkeiten und Interessen, die weit über „Fun & Ausgehen“ hinaus reichen, in einer Web 2.0-Community „Standort-genau“ transparent würden – wow, ein Quantensprung! Das wäre dann ein wirklich „soziales Netzwerk“ und nicht bloß der nächste Versuch, eine leicht zu definierende Zielgruppe zu versammeln und irgendwann mittels Premium-Features und Werbung abzukassieren.
Umworbene „Silversurfer“
Über einen Artikel von Top-Blogger Robert Basic (Silver-Surfer dürfen nun auch kuscheln) wurde ich dann auf diverse Projekte aufmerksam, die sich speziell an ältere Menschen (Silver Surfer, Golden Ager, Best Ager…) wenden. In die lange marktführende Community „Feierabend.de“ hatte ich schon im Jahr 2005 mal reingeschaut und mich gleich wieder verabschiedet: allein schon der Name schreckt ja ab! Einerseits „Feierabend“, andrerseits „das große soziale Netzwerk für Menschen ab 50.“ Wie kommt man bloß auf die Idee, dass „Feierabend“ etwas ist, das Ältere anzieht? Wer will sich denn heute noch abseilen vom Geschehen, bloß weil man die 50 überschritten hat? Wer in Zukunft zu früh Feierabend macht, hat mit großer Wahrscheinlichkeit im höheren Alter nicht mehr viel zu lachen (weder finanziell, noch gesundheitlich, noch psychisch!). Warum diesen Geist des Sich-Ausklinkens also noch medial unterstützen?
Feierabend.de – mal reingeschaut
Eine kleine Review anlässlich dieses Artikels stimmt mich ein wenig milder. Immerhin geht die Community offen mit ihren Daten um: es gibt 121657 Mitglieder, von denen gerade über 1000 online sind. Im Profil ist die Angabe der eigenen Homepage möglich, was nicht selbstverständlich ist, denn manche Betreiber „sozialer Netzwerke“ wünschen kein Geben & Nehmen und verhindern Links nach außen. Auf Feierabend.de gibt es auch Regionalgruppen, die von Mitgliedern moderiert werden. Ein kurzes Querlesen der Artikel und Foren zeigt, dass die Inhalte über den üblichen „Katzenkontent“ doch weit hinaus reichen: Geld & Finanzen (ja, diese Altersgruppe hat MEHR davon als die vielfach umworbenen Fun-Jugendlichen!), aktives Leben, Kunst & Kultur, Computer & Internet – und die Mitglieder können „Zirkel“ einrichten mit eigenen Themen. Alles in allem scheint da eine recht aktive Stamm-Usergruppe zu existieren, die die Community lebendig macht. Was mir fehlt ist der komplett ausgesparte Bereich der Arbeit und des Wirtschaftens – na klar, heißt ja auch „Feierabend“!
Iquarius.de: aktiver Ruhestand
„Wir glauben, dass immer mehr Menschen ihren Ruhestand nicht mehr „ruhig stehend“ verbringen wollen, sondern aktiv und engagiert. Wir glauben, dass Arbeit in dieser Lebensphase erfüllt sein kann im Sinne einer Berufung und nicht mehr in Form einer wertschöpfenden Tätigkeit“ heißt es im Intro-Text zur Idee von Iquarius.de, einer Community, die sich noch in der „öffentlichen Testphase“ befindet. Man will die Mitglieder vom Start weg an der Entwicklung beteiligen – ein sympathischer Zug! Aber aus dem Wertschöpfungsprozeß soll man schon ausgestiegen sein, warum eigentlich? Zum einen starten viele Ältere nochmal neue Projekte und Unternehmungen, zum anderen stellt sich die Frage: werden durch das soziale, kulturelle und politische Engagement älterer Menschen etwa KEINE WERTE geschöpft???
Nun ja, die stolperfreie Ansprache älterer Menschen ist ein Minenfeld, zugegeben. “Iquarius.de macht die intelligente Vernetzung von Menschen möglich, die sich vom traditionellen älter sein verabschieden wollen”, sagt der Betreiber Florian Wagner, ehemals Manager bei Gruner + Jahr und der Verlagsgruppe Holtzbrinck. Die Community bietet umfangreiche Suchmöglichkeiten entlang an verschiedensten Interessen wie Engagierte Freizeit, Kultur, neue Wohnformen und Sport, die allerdings noch auf drei Ergebnisse beschränkt ist. Erst ab 2008 gibt’s für Premium-Mitglieder die unbeschränkte Suche für einen Mitgliedsbeitrag von 4 Euro im Monat. Mein Fazit: mal weiter beobachten…
Platinnetz.de: für Junggebliebene
Mein letzter Besuch gilt dem (kostenlosen) Platinnetz, das ohne Frage optisch die ansprechendste Gestaltung mitbringt: Aufgeräumt, zeitgemäßes Webdesign ohne Schnickschnack, dafür Bilder von Menschen, die nicht nach Stützstrumpf und Ruhestand aussehen. Es gibt Foren und Artikel über Gesundheit & Ernährung, Kultur & Wissen, Partnerschaft & Liebe („Sex im gewissen Alter“, „BDSM“, „Liebe und Dating“), Computer & Technik, sowie Allgemeines & Unterhaltung. Ganz angenehm – und kaum bin ich drin, bekomme ich auch schon Grußbotschaften von allerlei allein stehenden Männern. Diese Community erscheint mir deutlich mehr als die anderen (auch) auf Partnersuche ausgerichtet, dafür werden Themen wie Arbeit, gesellschaftliches Engagement, Politik etc. zumindest von der Menüstruktur her nicht unterstützt. Eine Freizeit-, Plauder- und Partnersuch-Community für Ältere – warum nicht? Unter „Kultur und Wissen“ finden sich immerhin von den Mitgliedern eingebrachte gesellschaftliche und philosophische Themen. Neben der Suche nach Gleichgesinnten kann man Foto-Alben anlegen, Artikel schreiben (!) und eigene Diskussionsgruppen gründen. Für Links gibt’s leider keine Unterstützung und kein Feld für die Homepage im Profil. (Meine mangels anderer Möglichkeit ausgeschriebenen URLS wurden allerdings auch nicht gelöscht!)
Ältere brauchen gute Gründe
Das Problem mit den derzeit zunehmend umworbenen Älteren ist wohl grundsätzlicherer Art, als es sich jung-dynamische Macher so vorstellen: Anders als Technik-affine Jugendliche, die es geil finden, “dabei zu sein” und so immer eine dankbare Zielgruppe abgeben, brauchen Ältere gute Gründe, ihre Zeit hier oder dort zu verbringen. Diesen Bedarf decken unzählige themenzentrierte Foren und Communities bereits recht gut ab. Arbeit, politisches und soziales Engagement, Hobbys, Reisen und Partnersuche – zu all diesen Interessen gibt es gut laufende Plattformen. Warum sollte man also seine Zeit in einer Community verbringen, deren Mitglieder einfach nur “ein gewisses Alter” verbindet? Es ist doch gerade der Reiz des Webs, dass hier mal wieder Kontakte zwischen verschiedensten Altersgruppen zustande kommen, die im sogenannten „Real Life“ hübsch auseinander sortiert sind.
Mir scheint auch, die Macher/innen vieler “Projekte für Ältere” haben recht verquere Vorstellungen von ihrer Zielgruppe. Immerhin sind es die 68er, die jetzt in Rente gehen, meine Generation ist in den wilden 70gern sozialisiert, als man kulturell mal eben alles auf den Kopf stellte. (Heutige Junge erscheinen mir vergleichsweise oft stockkonservativ!). Ich muss immer grinsen, wenn ich auf Plakaten die ganzen Bands jener Zeit wieder “on Tour” sehe: von der musikalischen Power der 70ger zehrt man offensichtlich bis heute. Aber kaum ist man 50plus wird man als “Zielgruppe” so betrachtet und angesprochen, wie wir UNSERE Omas gesehen und angesprochen hätten – nicht immer, aber doch öfter.
Mal schauen, was sich da im Lauf der Zeit noch tut. Vielleicht wagt ja auch jemand mal den „lokalen Quantensprung“, anstatt weiterhin der Zersplitterung in Alters- und Interessengruppen Vorschub zu leisten, weil sich das besser „monetarisieren“ lässt. Ich bin gespannt!
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22 Kommentare zu „Web 2.0 für Ältere – gar nicht so einfach!“.