Unter dem Beitrag „Freundschaft in den Zeiten sozialer Medien“ im Digital Diary schrieb ein Leser zur Frage, inwiefern man einen Menschen online kennen kann:
„Die Tatsache aber, daß mir bei virtuellen Bekanntschaften fast alle meiner ohnehin begrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten fehlen, das Sehen, das Riechen, die Beobachtung von Mimik und Gestik, spontane Reaktionen im Gegensatz zu gründlich abgewogenen schriftlichen Äußerungen, lässt sich m.E. nicht wegargumentieren. :) Damit möchte ich virtuelle Kontakte keineswegs entwerten sondern lediglich ihre ganz eigene Qualität feststellen. Sie sind unkörperlich, immateriell, rein geistig vermittelt, und das stellt sowohl Chancen als auch Risiken dar.“
Man ist geneigt, dem ohne wenn und aber zuzustimmen, denn schließlich ist der körperliche Eindruck, der so oft „die Chemie“ zwischen Personen bestimmt, ja nicht wegzudiskutieren. Und doch: So ganz ohne sinnlich wahrnehmbare Botschaften bleibe ich nicht, wenn ich mit jemandem online kommuniziere. Hier also mal eine Liste mit Punkten, dir mir „etwas über den Anderen sagen“. Bitte nicht als bloße Gut/Böse-Liste missverstehen! Wie wir aufeinander wirken, schöpft meistens aus einem großen „Graubereich“.
Eindrücke, die sich über das Schreiben vermitteln:
- Der Stil: Setzt mein Gegenüber seine Worte wohl überlegt, in Stil, Rechtschreibung und Grammatik perfekt? Oder schreibt er „aus dem Bauch“ die Gedanken einfach so hin, wie sie grade kommen? Also auch mal angefangene Sätze, Gedankenfetzen, Ausrufe, Seufzer etc.
- Werde ich mit Fremdwörtern und Fach-Jargon überhäuft oder bemüht sich der Schreibende, allgemein verständlich ‚rüber zu kommen?
- Gibt es eine Anrede (in der E-Mail) und „beste Grüße“ – oder bleibt das weg, als wäre man in einem Chat?
- Benutzt der Schreibende die allgemein übliche Rechtschreibung oder pflegt er einen individuellen, abweichenden Stil wie z.B. durchgängige Kleinschreibung?
- Zitiert er meine Mail und schreibt seine Antworten einfach dazwischen – oder formuliert er seine Botschaft „autonom“ in eigenen Worten, bzw. unter Verwendung nur ganz weniger wichtiger Textstellen aus meiner letzten Mail?
- Antwortet er schnell, binnen 24 Stunden – oder erst nach ein paar Tagen?
- Spricht er von sich – oder bleibt er ganz „auf die Sache“ konzentriert und lässt die eigene Person draußen? Wie freigiebig ist er mit persönlichen Daten?
- Beantwortet er meine Fragen und geht auf meine Argumente ein? Oder pickt er sich nur einen Punkt raus, der zu seiner Meinung passt und ignoriert den Rest?
Wie agiert jemand im Netz bzw. in den sozialen Medien?
- Hält sich eine Person bedeckt, benutzt einen Nicknamen und vermeidet auf Blogs und Webseiten (falls vorhanden) das Impressum? Oder agiert er/sie unter realem Namen, bzw. lässt sich über wenige Klicks (z.B. den Link zum eigenen Blog mit Adresse) identifizieren?
- Ist die Person nur „im Schlagabtausch“ in ihrem Element? Oder trägt sie nachdenkenswerte Argumente und zusätzliche Infos zur Sache vor? Hat da jemand Freude daran, die Fehler oder abweichenden Meinungen anderer anzuprangern oder zu bewitzeln? Ist es eher eine „friedliche“ Person, der es darum geht, sachlich zu diskutieren? Oder ein „Spielkind“, das mit lockeren Sprüchen zur Unterhaltung beiträgt?
- Ist die Person vornehmlich ein Nehmer oder ein Geber? Nehmer stellen Fragen, geben aber keine Antworten und Hinweise zu Fragen und Anliegen anderer. Geber glänzen durch hlfreiche Tipps, auch wenn sie selbst an der Sache nicht unbedingt interessiert sind.
- Ist sich der Schreibende / Diskutierende des Umfelds bewusst und schreibt „entsprechend“? Oder brettert er einfach so rein und schlägt sein Pfauenrad, ungeachtet dessen, was bereits gesagt wurde und ob es zum Thema wirklich passt?
- Wieviel „Social Media“ nutzt die Person? Ist sie „überall dabei“? Oder beschränkt sie sich auf wenige, dann aber konsequent genutzte Dienste? Oder hält sie sich vom „ganzen Web2.0-Zirkus“ eher ferne?
Die eigene Webseite, das eigene Blog
Betreibt jemand eigene Webseiten, ergibt sich ein weiteres, großes Feld beiläufiger Informationen, die einiges über einen Menschen aussagen können:
- Sorgt die Person dafür, dass ich sofort erkenne, um was es auf der Webseite geht und wer sie warum betreibt? Oder muss ich erst lange forschen, um das heraus zu bekommen?
- Welche Stimmung kommt über die Gestaltung der Seite ‚rüber? Ist sie hell, klar, eher puristisch? Oder farbig, mit viel emotional wirkenden Farben und Motiven? SCHREIT sie mich mit heftigen Reizen an oder erschwert sie das Lesen durch schwache Kontraste? Wirkt die Seite „verspielt“ oder sehr funktional?
- Wie hoch ist der „Kommerz-Faktor“ auf einer persönlichen Seite? Wieviele Anzeigen, Affilliate-Banner und Aufforderungen zum Spenden, Kaufen, bzw. „bezahlte Postings“ sind zu sehen?
- Zeigt derjenige viel von sich (Bilder, Vita, etc.) oder will er eher durch die Inhalte wirken und tritt als Person kaum in Erscheinung?
- Werden Kommentare beantwortet? Gibt es viele Links zu anderen Seiten oder ist sich der Schreibende eher selbst genug?
Und was bedeutet das alles?
Meine Auflistungen sind alles andere als vollständig und lassen sich gewiss noch um viele Punkte ergänzen. Ganz gewiss kann man aus einem einzelnen Fakt nicht die großen und mit Sicherheit wahren Schlüsse ziehen. Dennoch WIRKEN all diese Aspekte auf den Leser bzw. Mail- und Diskussionspartner – ob man es will oder nicht.
Auch im sogenannten „realen Leben“ wirkt der Mensch durch seine Kleidung, durch die Art, sich zu bewegen, durch Mimik und Gestik, sowie durch die Gegenstände und Raumgestaltungen, mit denen er sich umgibt. Die Schlüsse, die wir daraus ziehen, müssen nicht unbedingt bewusst werden und nicht einmal stimmen – und doch spielen sie eine Rolle, tragen ihr Teil dazu bei, ob „die Chemie stimmt“ oder eben nicht.
In BEIDEN DIMENSIONEN, online wie offline, kann man sich sehr bewusst um die eigene „Außenwirkung“ bemühen und sehr „gestylt“ auftreten (bis in die Mimik und Gestik hinein, man denke nur an Verkäuferseminare!) – oder keinen bzw. nur wenige Gedanken daran verschwenden, wie man wirkt.
Klar gibt es Fakes und Blender, die es darauf anlegen, anders zu erscheinen als sie „wirklich“ sind. Aber das funktioniert immer nur im kleinen Rahmen: je mehr und häufiger sich eine Person zeigt, desto weniger wird es ihr gelingen, alles gleichermaßen konsistent in eine Richtung zu fälschen.
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Ich freu mich über Kommentare und Ergänzungen!
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15 Kommentare zu „Menschen erkennen im Netz“.