Claudia Klinger am 06. März 2012 —

Leistungsschutzrecht: die ersten Opfer

“Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen.“

So hat es die Koalition beschlossen. Viele nennen dieses Gesetzesvorhaben eine „Lex Google“, doch das ist falsch: es würde unzählige Nachrichten-Aggregatoren treffen, die unterschiedlichste News aus Zeitungen und Magazinen, Blogs und Postings der sozialen Netzwerke (FB, Twitter, G+) automatisiert zusammen stellen. Müsste jeder Link, der genutzt wird, erst gesichtet werden, um festzustellen, ob es nicht vielleicht ein „kostenpflichtiger“ bzw. Leistungsschutzrecht-geschützter Link ist, wäre das das Ende vieler dieser Dienste. Anders als Google haben die nämlich oft keine nennenswerten Einkünfte, würden also dicht machen müssen.

Was das für die Informationsfreiheit bedeutet, können sich die Leser dieses Artikels sicher ausmalen! Es blieben nur ganz wenige große zahlungsfähige Aggregatoren übrig, die so „mainstreamig“ wären wie GoogleNews jetzt schon, wo die großen Verlage bereits bevorzugt werden.

Hier nun mal eine Liste mit News-Aggregatoren, auf die wir dann wohl verzichten müssten:

  • Rivva.de – das bekannte Flaggschiff für aktuelle Blogpostings, das aber auch massenweise Artikel von normalen Medien verlinkt;
  • NetNews-Global: Versammelt Non-Mainstream-Artikel aus aller Welt, man erfährt dort Dinge, die es nicht in die Tagesschau schaffen. Täglich werden viele Artikel aufgenommen, die von Lesern per Formular empfohlen werden, öfter auch aus Zeitungen und Magazinen;
  • BuzzRank Curator – Versammelt Inhalte aus dem Social Web. Der Aggregator durchsucht Artikel, Blogpostings, Fotos und Videos nach Überschriften und Schlagworten. Quelle sind die Tweets der rund 700 Mitglieder des Curators, deren Links vom Curator-Algorithmus extrahiert und ausgewertet werden.
  • Commentarist – vereint tagesaktuelle Kommentare & Kolumnen von mehr als 1000 Journalisten der führenden deutschen Medien, komfortabel kategorisiert und thematisch sortiert;
  • Paper.li – sammelt Links von Twitter, Facebook und RSS-Feeds von Nachrichten-Seiten, ordnet sie in Kategorien ein und stellt die Sammlungen in Zeitungsform dar. Die Quellen kann man als User selbst zusammen stellen;
  • virato – checkt Websites, Blogs und Social Networks wie Twitter etc. und bewertet die Relevanz der jeweiligen Nachricht anhand der Verbreitung in den sozialen Netzen. Link-Quellen werden nach Typ und Sprache sortiert.
  • Infolust.info – aggregiert die wichtigsten Twitter-Meldungen (sieht etwas chaotisch aus); Natürlich sind da auch immer mal Links auf Artikel der Verlagsmedien dabei;
  • Yigg.de – hier schlagen User Meldungen und News vor, die dann nach vorne gevotet werden können;

Und weltweit?

Das sind jetzt nur mal ein paar Besipiele aus vielen, wobei ich mich auf Angebote in DE beschränkt habe (gerne könnt Ihr die in den Kommentaren ergänzen!). Aber da draußen in der weiten Welt gibts natürlich zigmal so viele Aggregatoren und selbst konfigurierbare Newsreader für PC, Handy und Tablet (z.B. Feedly), mit denen man auch deutschsprachige Quellen lesen kann. Wie die Befürworter des Leistungsschutzrecht wohl gegen diese vorgehen wollen?

Problem Social Media

Die Auswahl zeigt auch deutlich die Social-Media-Problematik: Jede Menge neuer Dienste aggregieren gar nicht unbedingt die Newsfeeds der klassischen Medien, schon gar nicht werden deren Webseiten gescannt. Aggregiert werden dagegen auf Facebook, Twitter und GooglePlus gepostete Links. WAS da jeweils verlinkt wird, ist für den Aggregator Jacke wie Hose. Das Verlinken selbst wäre – vielleicht! – noch „private Nutzung“, aber nicht das Auslesen und Darstellen dieser Links mit Snippets auf Webseiten.

Selbst konfigurierbare Newsreader wären auf jeden Fall DANN kostenpflichtig, wenn die Ergebnisseiten im Web stehen und für alle lesbar sind. Und das, obwohl die Medien die Newsfeeds ja selbst zur Verfügung stellen. Einige erlauben ja sogar explizit das Einbinden per Widget in Webseiten – auch das ginge ja wohl nicht mehr, wenn sie Zwangsmitglieder in der angedachten Verwertungsgesellschaft werden müssen.
Ein weiteres Feld künftigen Abkassier-Willens wären die Bookmark-Dienste. Auch da werden ja oft die von den Usern gesammelten Links (mit mehr oder weniger „Snippet“) auf einer Seite versammelt, die offen im Web steht.

Man sieht, die Dinge sind sehr komplex und der Schaden der vermeintlichen „Lex Google“ wäre immens. AUCH für die Verlage, denn all diese News-Aggregatoren schaufeln schließlich jede Menge Besucher auf deren Heimseiten. Man muss schon einen massiven Tunnelblick haben, um all diese Kollateralschäden nicht zu sehen, bzw. mutwillig zu ignorieren.

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Siehe auch:

Diskussion

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2 Kommentare zu „Leistungsschutzrecht: die ersten Opfer“.

  1. blauerbote.com leider wohl ebenfalls.

  2. […] Webwriting Magazin: Leistungsschutzrecht: die ersten Opfer Sebastian Fiebiger: Ohje! Ich habe wirklich gehofft, dass uns dieser Unsinn erspart bleibt. Was außerhalb des Netzes legal und kostenfrei ist (Zitieren, Verweisen), sollte es auch innerhalb des Netzes bleiben. […]